Eigene Gedanken zu «Tasten auf dünnem Eis»
Beim Schreiben dieses Buches war mir wichtig, Distanz zu meinen eigenen Emotionen zu wahren, das Gewicht auf sprachliche Gestaltung und Komposition zu legen und dennoch ehrlich, wahrhaftig und ohne zu psychologisieren Gefühle zu vermitteln.
Das Buch sollte auch nicht den Zweck einer Selbsttherapie erfüllen, dazu wäre ein Tagebuch da. Deshalb habe ich die Form des Romans statt des Erfahrungsberichts sowie die dritte Person gewählt. Diese Punkte waren für mich von Anfang an klar.
Die äußere Form hat sich jedoch erst später herauskristallisiert. Die Rückblenden drängten sich auf, als ich sah, dass das Verständnis der Leser für die Situation, in der Mara während des Klinikaufenthalts steht, und für ihre psychischen Schwierigkeiten gewinnt, wenn Maras Vergangenheit und somit die Entstehungsgeschichte der krankhaften Anteile ihrer Persönlichkeit auf einer zweiten Ebene mitläuft.
Zuerst plante ich, mehrere Figuren durch ihre Zeit in der Klinik zu begleiten, um den Fokus nicht allein auf Mara zu legen. Danach vermutete und befürchtete ich, dass sich die Lesenden dann zu wenig in die einzelnen Figuren einzufühlen, sich nicht genügend mit ihnen zu identifizieren vermögen. Genau dies wollte ich mit der Beschränkung auf Mara bewirken.
Zwischen dem Schreiben eines fiktionalen Textes (Roman) und eines Erfahrungsberichts sehe ich deutliche Unterschiede. Beispielsweise versuche ich beim literarischen Schreiben, das Unmittelbare durch bildhafte Vergleiche umzugestalten, wobei mein Ziel Einfachheit und Klarheit ist. Besonders wichtig ist mir die «Regel», Gefühle wo immer möglich nur anzudeuten, durch Körperhaltungen, Mimik, Handlungen, statt sie wörtlich zu benennen. Ich fragte mich jeweils: Was will ich zeigen, welchen Zustand, welche Erfahrung, welche Eigenschaft von Mara vermitteln? Dann überlegte ich mir, in welcher Art von Szene ich dies am eindringlichsten darstellen könnte. Auf diese Weise entstanden die Episoden, sowohl jene in der Klinik als auch die Rückblenden.
Irgendwann folgte das große Reduzieren. Ich strich ganze Kapitel, kürzte Szenen oder verknüpfte mehrere miteinander. Nichts sollte ohne eindeutigen Sinn doppelt erscheinen. Kommentare und psychologische Feststellungen verbannte ich (so hoffe ich zumindest!) oder verpackte sie in Dialoge, wo Kommentieren bekanntlich eher erlaubt ist, da es dann aus dem Mund einer Romanfigur und nicht aus jenem der Autorin stammt.
Meine eigenen Erlebnisse bilden die Bausteine dieses Buches. Mit Mara formte ich aber eine neue Figur, die zwar aus meinen Gefühls- und Erfahrungselementen besteht, während des Schreibens dennoch eine andere Person war, eine, die ich von außen betrachten konnte. Zudem verfremdete ich äußere Gegebenheiten meiner Biografie, die Chronologie sowie andere Tatsachen, aus schreibtechnischen Gründen und natürlich auch, um lebende Vorbilder (Familie, Lehrpersonen, Klinikpersonal, Patienten u. a.) zu schützen. So konnte ich auch besser von mir selbst abrücken und mehr Distanz zur Romanfigur Mara schaffen.
Gegen Ende des Schreibprozesses geriet ich zunehmend in Versuchung, Mara zurückzudrängen, ihr mich persönlich überzustülpen. Das alarmierte mich, und da mir diese unheilvolle Entwicklung bewusst geworden war, konnte ich gegensteuern. Danach schloss ich «Tasten auf dünnem Eis» sehr bald ab …
Über das Schreiben
Während ich als Korrektorin täglich fremde Texte berichtigen und dabei die eigene Kreativität in den Hintergrund verbannen sollte, wozu ich mich zeitweise durchaus zwingen musste, wurde mein Bedürfnis immer größer, selbst einen längeren literarischen Text zu verfassen. Der Wunsch zu schreiben war also lange vor dem Stoff für «Tasten auf dünnem Eis» da.
Früher zeigte sich meine Liebe zur Sprache und zum Schreiben darin, dass ich in der Schule am liebsten dauernd Aufsätze geschrieben hätte.
Dieses Bedürfnis nach schriftlichem Ausdruck verflog auch nach der Schulpflicht nie. Doch die Musik war mir wichtiger, mein Cello und mein Klavier lagen mir mehr am Herzen und waren meine Ausdrucksmittel.
Als ich nach dem Konservatorium die Musik als Beruf aufgab, spürte ich deutlich den Verlust dieser Möglichkeit, mich kreativ auszudrücken, ich brauchte einen neuen Ort, eigene Ideen und Empfindungen umzusetzen.
Auch wenn das Schreiben ein wertvoller Ersatz für die Musik ist, sehe ich klare Unterschiede. Die Musik vermag Stimmungen unmittelbarer auszudrücken, sie ist nonverbal, kann unser Denken leichter umgehen, direkter zur Seele vordringen oder uns in Schwingungen versetzen. Als Musizierende bin ich auch durch die Beteiligung des ganzen Körpers, die Bewegungen, die sich je nach Stimmung des Musikstücks verändern, mehr engagiert.
Am (literarischen) Schreiben wiederum schätze ich, Eigenes zu produzieren, statt als Vermittlerin von Ideen und Stimmungen eines Komponisten zu dienen. Genau diese Vermittleraufgabe, die Einfühlungsvermögen verlangt, empfinde ich aber ebenfalls als sehr wertvoll und befriedigend. Natürlich vor allem dann, wenn ich das Gefühl haben darf, dem Komponisten und seinen Absichten wirklich gerecht geworden zu sein.